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Zweites Zuhause weit weg von daheim

Bad Mergentheim. Mir ist nicht ganz klar, was mich erwartet, als ich am frühen Nachmittag den Eingang des Bischöflichen Internates “Maria Hilf” betrete, denn viel sieht man nicht vom sogenannten “Kasten” beim Kapuzinerkloster in Bad Mergentheim.

An der Pforte werde ich freundlich von einer Sekretärin begrüßt, das Gebäude an sich wirkt wie eine Schule: pragmatisch und ordentlich; gemalte und gebastelte Wandbildern bringen ein bisschen Farbe hinein. Nur das Emblem am Haus und eben der Name verraten, dass es sich um eine christliche Einrichtung handelt. Die Decken sind hoch und geben den Hall der Kinderstimmen im Flur wider.

Gerade ist die Mittagspause vorbei und es beginnt die erste Studierzeit, die für die Erledigung der Hausaufgaben und zum Lernen gedacht ist. Jugendliche wechseln eilig die Zimmer.

Diakon Andreas Reitzle, der Leiter des Maria Hilf, heißt mich in seinem Büro herzlich willkommen und erzählt mir vom Alltag im Internat.

Ein durchschnittlicher Tag ist im “Hilf” sehr strukturiert: Das morgendliche und abendliche Gebet sind Pflicht, dazwischen der Schulbesuch, gemeinsames Mittagessen, die Studierzeit und das Freizeitprogramm.

Das klingt für Schüler, die nicht das Internat besuchen, auf den ersten Blick vielleicht sehr streng. Doch: “Die Eltern geben ihre Kinder hierher, weil sie wissen, dass sie hier gut betreut werden”, sagt Diakon Reitzle. Er weiß, wovon er spricht, denn schließlich war er selbst früher auch hier Internatsschüler.

An seinem Schrank hängt ein Bild mit dem Spruch: “Disziplin ist am Anfang schwer. Dann macht sie alles leichter”. Doch Andreas Reitzle wirkt so gar nicht wie ein “Drill-Instructor”. “Wir vermitteln hier christliche Werte wie Nächstenliebe, Fürsorge und Respekt. Wir wollen den Kindern Selbstständigkeit und ein gutes Sozialverhalten, sogenannte ‘Soft Skills, mit auf den Weg geben. Sie sollen sich mit Problemen auseinandersetzen, statt vor ihnen zu fliehen”.

Konzept auf drei Pfeilern

Das Konzept des Internates basiert auf drei Pfeilern: Bildung, Religion und Freizeit. Die Kinder und Jugendlichen besuchen am Vormittag die öffentliche Schulen, danach kommen sie in den “Kasten”. Nach dem gemeinsamen Mittagessen in der hauseigenen Kantine mit viel gesundem, teils auch vegetarischem Essen, geht es ans Lernen.

Nicht nur die Internatsschüler, auch Hort- oder Tagesbetreuungskinder nehmen diese Lernzeiten unter Aufsicht von geschultem Personal wahr. Die Studiersäle sind mit modernen Schreibtischen ausgestattet und wirken hell und freundlich. Bis zu fünfzehn Schüler finden in den Sälen Platz, sie lernen je nach Schulart und Alter zusammen. Wird intensive Betreuung nötig, kann man auch die Unterstützung eines Nachhilfelehrers bekommen.

“Die Betreuung während der Studierzeit und die feste Tagesstruktur helfen in der Schule schon weiter”, erzählt die 19-jährige Giulia. “Bei uns Älteren ist das aber nicht mehr so streng wie bei den Jüngeren. Uns wird vertraut, dass wir selbst wissen, was für uns wichtig ist und dass wir für einen schulischen Erfolg lernen müssen”. Giulia lebt seit eineinhalb Jahren im Internat. Wegen einer beruflichen Veränderung mussten ihre Eltern nach Hessen ziehen, sie wollte aber lieber ihr Abitur am Ernährungswissenschaftlichen Gymnasium in Bad Mergentheim machen. Die Entscheidung fürs “Hilf” fiel, weil ihre Eltern wollten, “dass ich gut aufgehoben bin”. Nicht nur berufliche, auch familiäre Umstände erfordern es manchmal, dass Eltern ihre Kinder in die Obhut des Bischöflichen Internats geben müssen. Einige Schüler haben auch gravierende Einschnitte wie den Tod eines Elternteils zu verkraften. Andere leiden unter Handicaps wie Autismus, ADS oder einer Lese-Rechtschreib-Schwäche. “Auf alle Kinder muss speziell zugegangen werden”, sagt Reitzle. Darauf sind seine Mitarbeiter geschult.

Auch wenn die Ausgangssituationen und Charaktere der Kinder sehr verschieden seien: sie wüchsen meist schnell in die Gemeinschaft hinein. Sogar soweit, dass die älteren Kinder den Jüngeren die Werte weitervermitteln und Konflikte nach Vorbild der Betreuer selbst schlichten. So übernehmen sie die Verantwortung für sich und andere.

“Das hilft natürlich auch für das spätere Leben”, betont Reitzle. “So können sie nach der Schulzeit leichter Fuß fassen und mit ungewohnten Situationen besser umgehen”. “Hilf”-Schüler zeigetn ein sehr gutes Sozialverhalten. “Das müssen Kinder, die nicht in einem Internat waren, nach der Schulzeit oft erst lernen.” Dennoch gibt es bei Regelverstoß auch Sanktionen. “Und zwar da, wo es ‘wehtut'”, sagt Reitzle. Jungen und Mädchen im Pubertätsalter müssen da vielleicht schon einmal auf ihr Smartphone verzichten… Allerdings gehe es hier keinesfalls um die Bestrafung an sich: den Kindern und Jugendlichen werde ihr Fehlverhalten erklärt. Respektvoll und ausführlich. Weil die Jugendlichen ernst genommen werden, sind Probleme mit Respektlosigkeit gegenüber den Betreuern im “Kasten” kein Thema: “Die Pädagogen sind Vorbilder, an deren Verhaltensweisen sich die Kinder und Jugendlichen orientieren.” Oft kann auch der Glaube helfen, mit schwierigen Situationen umzugehen. Er ist ein tragendes Element im Internat Maria Hilf. Kinder müssen zwar keine “Glaubensvorkenntnisse” mitbringen, es wird aber eine offene Einstellung der Eltern und Kinder erwartet. Das Internat bietet den Heranwachsenden die Möglichkeit, sich mit Religion auseinanderzusetzen.

Nach der Studierzeit gibt es eine Vielzahl von Freizeitangeboten. Von Basteln über Kochen, Technik, Musik bis hin zum Sport ist eigentlich alles dabei; auch vieles, was zu Hause gar nicht möglich wäre. Für Sportbegeisterte gibt es einen Fußballplatz hinter dem Haus, ein Pool kann in den warmen Monaten genutzt werden. Für das Riesentrampolin gibt es extra einen “Trampolinwart” – ein Schüler, der sich um die Wartung und Sicherung des Turngeräts eigenverantwortlich kümmert. Einer von vielen “Minijobs”, für die sich die Schüler bewerben und engagieren können. “Neben unserem Programm gibt es auch zusätzliche Angebote von außerhalb, etwa Reit- oder Musikunterricht”, ergänzt Reitzle. Möchte man Freunde treffen, so müsse man den Campus gar nicht verlassen, denn viele Freundschaften bildeten sich auch unter den Schülern, sagt der Leiter.

 

Giulia erzählt, sie fühle sich hier “sehr wohl”, wäre aber manchmal auch gerne bei ihren Eltern. Etwa, wenn sie niedergeschlagen oder traurig ist. “Die Betreuer können einen da nicht in den Arm nehmen. Aber ich habe hier auch viele wirklich gute Freunde gefunden, von denen ich am Anfang dachte, dass wir uns nie verstehen würden. Man wächst da einfach zusammen und sie können mich dann trösten, auch wenn meine Eltern so weit weg sind.” Auch digital können soziale Kontakte gepflegt werden: Es stehen Laptops zum Lernen, aber auch zum Surfen zur Verfügung. “Wir sind ja auch nicht weltfremd. Dennoch gibt es bei uns keinen 24-Stunden-Zugang zum Internet”, sagt Reitzle. “Den Eltern wird geraten, nur W-LAN und kein UMTS auf dem Smartphone freizuschalten”, stellt er klar. Dadurch solle den Kindern und Jugendlichen eine Medienkompetenz vermittelt werden, die es ermöglicht, das Medium Internet zielgerichtet, aber maßvoll zu nutzen. “Langweilig wird es im Kasten nie”, erzählt Giulia. Schließlich gebe es auch die Möglichkeit, die Freunde in der Stadt zu treffen oder bummeln zu gehen. Allerdings sei die Voraussetzung dafür immer, dass Regeln und ausgemachte Uhrzeiten eingehalten würden.

Nach dem Abendprogramm mit verschiedenen AGs und Hobbygruppen geht es erst für die Jüngsten, später dann für die Älteren, ins Bett. Sie wohnen in Wohnappartements mit einem bis sechs anderen Schülern zusammen, teilen sich ein Bad und ein Wohnzimmer. Die Zimmer sind eher zweckmäßig, aber nicht ungemütlich. Viele der Mädchenzimmer sind durch persönliche Gegenstände oder Poster geschmückt. “Man gewöhnt sich an die fehlende Privatsphäre. Je länger man hier ist, umso mehr arrangiert man sich mit den anderen”, sagt Giulia.

In einem Schrank werden nachts die Handys weggeschlossen, in einem anderen hängt der Putzplan: die Heranwachsenden sind selbst für die Sauberkeit und Ordnung in ihren Zimmern zuständig. Das Internat ist für viele Kinder das “Zweite Zuhause” geworden, ein Ort, an dem sie sich wohlfühlen und die Eltern sicher sein können, dass ihre Kinder optimal betreut und gefördert werden. “Das Internatsleben habe ich mir anfangs ganz anders vorgestellt. Die Zeit hier hat mich aber auch selbstbewusster und selbstständiger werden lassen”, erzählt Giulia.

Dass das Konzept für alle Schüler aufgeht, zeigt sich in einer Facebook-Gruppe von über 180 ehemaligen “Kästlern. Sie alle erinnern sich auch heute noch gerne an die “schöne Zeit” im Internat und posten immer wieder positive Rückmeldungen. “Das freut mich natürlich sehr”, lächet Reitzle.

Das Internat Maria Hilf wirkt ein bisschen wie eine eigene Welt, jedoch nicht weltfremd. Die Lebensgewohnheiten der “Kästler” unterscheiden sich in Bezug auf Wohnen, Lernen und Glauben zwar von denen eines “normalen” Jugendlichen, doch hat man das Gefühl, dass alle gerne hier sind.

© Fränkische Nachrichten, Montag, 28.10.2013

Quelle: http://www.fnweb.de/region/main-tauber/bad-mergentheim/zweites-zuhause-weit-weg-von-daheim-1.1259996

 

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